Die Regierungszeit Willy Brandts
Nach der ersten Zusammenarbeit von SPD und FDP bei der Wahl Heinemanns zum Bundespräsidenten, zeichnete sich nach der Wahl eine Koalition der beiden Parteien ab. Die CDU/CSU hatte zwar mit 46,1% die meisten Stimmen erhalten, allerdings hatten SPD (42,7%) und FDP (5,8%) die Möglichkeit, mit 12 Sitzen mehr, eine Koalition einzugehen, was sie auch taten.
Merke
Als erster Sozialdemokrat wurde Willy Brandt zum Bundeskanzler der BRD gewählt. Die Sozialliberale Koalition schlug einen neuen Weg in der Außenpolitik ein und Brandt versprach "mehr Demokratie wagen" zu wollen. Sein Reformprogramm fasste Brandt unter die Motti "Kontinuität und Erneuerung", "Fähigkeit zum Wandel" und "mehr Demokratie wagen" zusammen. Zu den beabsichtigten Reformen zählten eine Strafrechtsreform, die Senkung des Wahlalters, eine Schulreform und den Ausbau des Sozialsystems. Viele der Reformen konnten nur in einer abgeschwächten Version verwirklicht werden, da SPD und FDP keine Mehrheit im Bundesrat hatten und das Bundesverfassungsgericht eher konservative Urteile fällte, gegen die Bestrebungen der BundesRegierung.
In der Strafrechtsreform wurden die Ereignisse der Studentenbewegung und der vielzähligen Demonstrationen bedacht und es wurde die Beweislast für Angeschuldigte abgeschafft. Im Sexualstrafrecht wurde Ehebruch, Kuppelei und Sodomie unter Erwachsenen straffrei. Jedoch blieb die Schutzgrenze für (homo)sexuelle Handlungen bei 18 Jahren. Im Jahr 1970 wurde das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre gesenkt. Diese Änderungen wurden ohne größere Probleme umgesetzt. Die ersten Probleme gab es bei Artikel 218 des Strafgesetzbuches. Dieser setze den Abbruch einer Schwangerschaft unter Strafe, wobei eine Ausnahme bei lebensgefährdenden Komplikationen für die Frau bestand. Aus der Debatte um den Abtreibungsparagraphen entstand eine neue Frauenbewegung. Diese versuchte mit Aktionen wie "Mein Bauch gehört mir" oder "Ich habe abgetrieben" die männerdominierte Politik zu ändern. Daraufhin änderte die Regierung das Gesetz und der Bundestag stimmte einer Neuregelung des Artikel 218 zu, der eine straffreie Abtreibung bis zum dritten Monat erlaubte, wenn zuvor eine ärztliche Beratung stattgefunden hat. Diese Fristenlösung wurde jedoch bereits einen Tag nach ihrem Beschluss durch das Bundesverfassungsgericht außer Kraft gesetzt und konnte erst zwei Jahre später erneut beschlossen werden.
Im Jahr 1971 wurde durch das Bundesausbildungs-Förderungs-Gesetz (BAFöG), die Bildungsreform eingeleitet. Die Bundesregierung einigte sich mit den Ländern auf die Erarbeitung eines Bildungsgesamtplans. Aus dieser Diskussion um den Bildungsgesamtplan entwickelte sich die Debatte um die Gesamtschule. Weitere Reformpläne scheiterten an der Finanzierung. Der Ausbau des Sozialstaates scheiterte ebenfalls an den wirtschaftlichen Problemen und Folgen der Jahre 1974/75.
Vertiefung
Die Neue Ostpolitik
Die neue Ostpolitik stellt einen Schwerpunkt in den Regierungsjahren Brandts dar. Die BRD gab den Alleinvertretungsanspruch auf und erkannte somit die Existenz der DDR an. Sowohl Brandt als auch Außenminister Walter Scheel (FDP) wollten ein geregeltes Nebeneinander mit der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei und der DDR. Am 12.8.1970 wurde der Moskauer Vertrag unterzeichnet, der die Grenzen Europas regelte und ein Gewaltverzicht zwischen den Staaten vereinbarte. Es folgten ähnliche Abkommen mit weiteren Staaten des Ost-Blocks. Im Warschauer Vertrag vom 7.12.1970 begann die deutsch-polnische Annäherung. Die BRD erkannte die Westgrenze Polens an, die Oder-Neiße-Linie, verzichte auf jedwede Gewalt und auf alle möglichen deutschen Gebietsansprüche. Während seines Besuchs im Warschauer Ghetto unterstrich Brandt die Aussagen des Vertrages mit dem berühmten Kniefall am Denkmal der Opfer des Warschauer Ghettos. Dieser war laut Protokoll nicht vorgesehen. Im Zuge der Entspannung und der Annäherung musste die Berlin-Frage geklärt werden. Im Viermächteabkommen über Berlin wurde festgelegt, dass diese die Verantwortung für Berlin hätten und es einen sicheren Transitverkehr nach West-Deutschland gibt. West-Berlin wurde besser in die BRD eingebunden, jedoch war es kein Bundesland der BRD. Im Bundestag gab es wegen der neuen Ostpolitik Spannungen. Die CDU/CSU versuchte durch ein konstruktives Misstrauensvotum Brandt und die sozialliberale Koalition zu stürzen. Es kam zu Parteiwechseln, wodurch die Opposition mit 249 zu 247 Stimmen die Mehrheit erlangte. Das Misstrauensvotum scheiterte, da bei der maßgeblichen Abstimmung der Kandidat der CDU/CSU nur 247 Stimmen erhielt. Dennoch zwang die Situation die Bundesregierung dazu für den 19.11.1972 Neuwahlen anzusetzen. Dafür war es notwendig, dass Brandt die Vertrauensfrage stellte, diese scheiterte und damit der Bundestag aufgelöst werden konnte. Am 20.9.1972 stellte Brandt die Vertrauensfrage.
Die Neuwahlen stärkten die SPD und FDP und machten es möglich die sozialliberale Koalition weiterzuführen. Es wurde ein Transitabkommen geschlossen, welches den Verkehr zwischen DDR und BRD erleichterte. Durch den Grundlagenvertrag von 1972 nahmen die DDR und die BRD offizielle diplomatische Beziehungen auf. Und die Unverletzlichkeit der innerdeutschen Grenze, die Beschränkung der Hoheitsgewalt auf das eigene Gebiet und die Eigenständigkeit der beiden Staaten wurden betont.
Im Herbst 1973 setzte die erste Ölkrise ein. Die arabischen Staaten nutzen ihre Macht durch den Erdöl-Handel und setzten sie als politisches Druckmittel ein. Dadurch setzte eine Wirtschaftskrise ein, die schließlich zu dem Bewusstsein in den westlichen Staaten führte, dass es Grenzen des Wachstums gibt. Die Energiepreise stiegen dramatisch an, die Arbeitslosigkeit ebenfalls und belasteten die Regierung.
Doch nicht nur die Belastung durch wirtschaftliche Problemen, auch die Angriffe der Opposition und ebenso Angriffe aus der eigenen Reihe spielten für den Rücktritt Brandts im Mai 1974 eine Rolle. Entscheidend war dabei die Enttarnung Günther Guillaumes als Agent und Offizier des DDR-Geheimdienstes, welche den letzten Grund für den Rücktritt darstellt.
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